David J. Spiess ist seit Herbst 2020 neuer Head of Sales beim Zürcher PropTech-Unternehmen PriceHubble. Seine früheren Stationen waren u.a. ABB, Alfred Müller AG, Domicim, Engel & Völkers und HRS Real Estate AG. Im Interview mit der DOMBLICK-Redaktion verrät er, warum er mit seiner Expertise nun bei einer jungen Scale-up-Company angeheuert hat.
Herr Spiess, Sie sind schon recht lang in der Bau- und Immobilienbranche tätig. Was hat sie an der neuen Rolle bei einem PropTech-Start-up bzw. -Scale-up wie PriceHubble gereizt?
Erst einmal zum generellen Hintergrund: Die Immobilienwirtschaft ist in vielerlei Hinsicht, trotz der Nutzung des Internets seit etwa dem Jahr 2000, eine Branche, die stark und lange Zeit im Papierzeitalter verhaftet war – und dies teils auch noch ist. PriceHubble ist ein zu 100 Prozent digitales Unternehmen. Intern in den Prozessen und in der ganzen Organisation. Die einzigen haptischen Tools sind das Laptop und das Smartphone. Es gibt nur einen digitalen One-Point-of-Entry und dann geht alles auf dem gleichen Weg weiter.
Der grosse Reiz an PriceHubble für mich persönlich, ist es, nicht nur auf der Immobilienseite zu pushen, dass alles digitaler wird. Ich kann mich auch mit Kunden und mit Menschen befassen, die digital affin und schon in dieser digitalen Welt unterwegs sind. Mit denen man Projekte vorantreiben kann, die einen grossen Mehrwert für die Branche bringen und die auch gut integriert werden können.
Der Reiz ist auch, alles was ich bereits kenne und was ich schon gesehen habe, jetzt quasi mit der digitalen Brille anzuschauen. Und in der Immobilienwelt den Menschen, die ich seit langem sehr gut kenne, ihre Profile, ihre Denkweise zu ändern. Und ihnen das Digitale näherzubringen und Lösungen präsentieren zu können. Das ist nicht nur ein Produkt oder ein Service-Angebot. Ich möchte sie inspirieren, wie sie auf ein nächstes und höheres Niveau kommen können. Das finde ich ungemein reizvoll.
Welche Zeichen setzen Sie in der neuen Position?
Global kann man erst einmal sagen: Die Immobilienwelt ist eine konservative Welt. Schon seit tausenden von Jahren kennen wir Backsteine. Es wurde schon immer gebaut und diese Welt ist die Gegenwart, sie ist aber auch sehr vergangenheitsbezogen. Ein Projektentwickler, der ein Stück Land analysiert, schaut zuerst, wie in der Vergangenheit gebaut und verkauft worden ist, und vielleicht noch was für Wohnungsgrössen nachgefragt worden sind.
Heute ist das an sich eine komplett falsche Sichtweise. Denn man muss für den Immobilienverkauf Gegenwart und Zukunft anschauen, nicht das Heute und Gestern. Ein Projekt, für das ich das Grundstück erworben habe, benötigt zunächst ein Baubewilligungsverfahren. Das kann drei Monate bis zwei Jahre dauern. Es könnte auch noch Einsprachen und Fristen geben. Dann sind wir bei Grossprojekten schnell einmal bei bis zu vier Jahren Planungsdauer.
Und dann soll ich also bestimmen, zu welchem Preis ich die Mietwohnungen in drei oder vier Jahren anbiete, wenn sie dann tatsächlich bezugsfertig sind? Mit PriceHubble setzen wir genau hier an und legen den Fokus auf die Gegenwart und die Vorausschau.
Wir analysieren, was wir heute vorfinden. Dazu sammeln und strukturieren unsere hochqualifizierten Experten grosse Datenmengen und integrieren diese in digitale und für den Nutzer intuitiv aufbereitete Lösungen. PriceHubble verwendet für die Bewertungen tagesaktuelle Marktdaten und mathematisch-statistische Verfahren. Dadurch wird eine objektive und marktgerechte Bewertung möglich.
Auch komplexe, nicht-lineare Zusammenhänge zwischen Preisen und wertrelevanten Merkmalen werden abgebildet. Erhoben wird nicht nur, was für vergleichbare Objekte an gleicher Lage in der Vergangenheit bezahlt wurde, sondern es fliessen Kriterien wie zum Beispiel Geräuschpegel, Erreichbarkeit oder die Qualität der Aussicht ein. Unser Fokus liegt dabei auf Präzision, einer viel grösseren Zahl an Datenpunkten und einer genauen Gegenwarts- und Zukunftsbetrachtung.
PriceHubble ist ja nicht nur in der Schweiz aktiv, sondern auch in mehreren Ländern Europas und in Japan. Wie herausfordernd ist diese internationale Koordination für Sie?
Man muss das als Länder-Cluster sehen. Es gibt da ein Fundament von Vorgehensweisen. Das ist in der Schweiz ganz ähnlich wie auch in anderen Ländern, wie in Deutschland oder jetzt auch in den Niederlanden, wo wir seit Januar aktiv sind. Es gibt bei uns Analysen, was das nächst mögliche Land sein könnte, wohin wir erweitern wollen. Wir bauen dann dort ein Länderteam auf, aber immer mit Unterstützung vom Konzern. So ist es ein standardisiertes Vorgehen in jedem weiteren Land.
In Einzelfällen gehen wir natürlich auch Kooperationen mit etablierten Akteuren ein, so war das etwa in Österreich der Fall. Dort haben wir ein bestehendes Angebot und auch Produkt übernommen und wachsen mit diesem. So gesehen sind also beide Fälle denkbar, organisches und anorganisches Wachstum. Das wird für jedes Land von Grund auf analysiert.
Was sind die künftigen Ziel-Länder?
Unser Ziel ist, pro Jahr ein bis drei Länder neu mit PriceHubble zu erschliessen. Der erste Fokus ist natürlich zunächst Europa als Ganzes. Hier sind Belgien, UK und Italien auf der Roadmap. Je mehr Länder jetzt nach und nach dazukommen, desto günstiger wird auch die Etablierung – dank Skalierung. Hinsichtlich Skalierbarkeit sehen wir jetzt erste entwickelte Länder mit starkem Preisniveau, wo ein riesiger Bedarf ist nach präzisen Daten.
Der Sprung in ein nächstes Land wird für unser immer günstiger, denn die entstehenden Grenzkosten werden immer kleiner. Und umso eher kommen auch andere Länder in Frage, die eine ganz andere Preisstruktur aufweisen und wo wir auch andere Angebote definieren müssen. Das wird uns helfen, die Geschwindigkeit bei der Expansion beizubehalten.
Welchen Wert haben Partnerschaften und Kollaborationen, wie etwa jene mit Archilyse?
Es gibt grundsätzlich zwei Szenarien: Das eine ist das Immobilienbewertungshaus, das grundsätzlich alles abdeckt und alles selber macht. Ich glaube aber, dass unser Szenario ein anderes ist, getreu dem Motto «Schuster bleib bei Deinen Leisten». Das heisst, auf unsere Kernkompetenzen bezogene Lösungen anbieten, die auch andernorts replizierbar sind. Ein Bewertungstool kann ich x-fach anwenden und kann dieses jedem standardisiert zur Verfügung stellen.
In der Projektentwicklung, der -vermarktung oder -bewirtschaftung gibt es aber Bereiche, wo die Digitalisierung sehr stark voranschreitet, und dort werden Partnerschaften zunehmend wichtiger. Wenn ich auf die nächsten fünf Jahre schaue, wird diese Referenz, die wir da jetzt mit Archilyse in der Projektentwicklung geschaffen haben, zunehmen. Wir werden eine starke Vernetzung haben und effektiv dieses Ökosystem zusammenbauen, wo Systemteile zu einem gesamten System zusammenwachsen.
Auch der Prozess der Projektentwicklung muss komplett umgekehrt werden. Heute ist wichtig zu wissen, was ist die Nachfrage an einem bestimmten Standort und was ist das Preisniveau und welche weiteren Definitionen vor Ort sind wichtig. Teil der strategischen Projektdefinition müssen zum Beispiel künftige Verkaufspreise und Vermarktungsmieten sein. Die muss ich vier Jahre vor der Fertigstellung kennen. Hier können wir schon frühzeitig mit unseren Analysen darauf hinweisen.
Und in der Zusammenarbeit mit Archilyse können wir zudem auch einpreisen, was für einen Einfluss etwa Sonne und Schatten haben. Dies wirkt sich letztlichauf den Gesamtpreis für dieses Projekt aus und der Unterschied kann da in die Millionen gehen.
Generell: Solche Teilsysteme müssen immer mehr zusammenwachsen und auch Daten untereinander austauschen. Ich sage immer «Szenarien durchspielen, bevor die Lastwagen auf die Baustelle fahren». Und nicht einfach nur machen und das bauen, weil es auf einem Plan steht. So war das früher.
Was bedeutet dieser systemische Einsatz für die vielen verschiedenen PropTechs in der Bau- und Immobilienbranche?
Ganz klar: Es werden nur die Besten bestehen können. Für jedes Teil-Ökosystem gibt es sicher zehn bis 20 Unternehmen, die digitale Lösungen anbieten können. Aber es werden nicht alle überleben, es wird eine Bereinigung stattfinden. Wenn ich da auf früher schaue, wo es die Unternehmen gab, die alles zusammengekauft haben und dann einfach intern marktferne Preise festgelegt haben. Da war schnell klar, dass die Innovationskraft abnimmt.
Das wird aber nicht die Zukunft sein. Die virtuellen Ökosysteme werden einander pushen, um sehr schnell auf ein sehr hohes Niveau zu kommen. Wenn man das allein bei PriceHubble anschaut, das 2016 gegründet worden ist: Nach nur fünf Jahren können wir grosse Erfolge nachweisen, das ist schon enorm. Das haben andere etablierte Akteure nicht geschafft, die sich schon seit 30 Jahren mit dem Thema beschäftigen.