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Aberdeen Standard Investments: Fokus auf FACTS

DOMBLICK-Interview - Anne Breen - Aberdeen Standard Investments - VÖD 20210315

Anne Breen, Global Head of Investment Process and Strategy bei Aberdeen Standard Investments, spricht im DOMBLICK-Interview über die Entwicklungen auf den internationalen Immobilieninvestmentmärkten.

Frau Breen, welche Trends erwarten Sie 2021 auf den internationalen Immobilieninvestmentmärkten?

Die Auswirkungen der Pandemie auf die internationalen Immobilienmärkte sind vielfältig. Man muss hier zwischen den einzelnen Immobilienbereichen stark differenzieren. So steht der Einzelhandel nach der Krise ganz anders da als zum Beispiel Logistikzentren. Wir haben daher einen speziellen Ansatz entwickelt, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Unseren Ansatz umschreiben wir gerne mit den Stichwörtern Granularität, Beschleunigung und Polarisierung, oder kurz GAP (Granularity, Acceleration, Polarisation). GAP umschreibt ziemlich genau, was auf den internationalen Immobilienmärkten passiert ist und in welche Richtung wir gehen. Daher sind sie für unsere Analyse sehr wichtig.

Stichwort Granularität: Die Pandemie hat einige Unternehmen unverhältnismässig stark betroffen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, ihren zugrundeliegenden Cashflow bis ins kleinste Detail zu verstehen. In welchem Sektor ist das Unternehmen tätig? Bedienen sie die Airline-Industrie? Vertreiben sie Elektrofahrräder? Wie stark ist ihr Cashflow? Diese Detailgenauigkeit ist entscheidend, um zu verstehen, inwieweit Firmen fähig sind, die derzeitige Stressphase des Lockdowns zu überstehen. Und auch wie schnell sie sich nach der Rückkehr erholen und zur Normalität zurückkehren können.

Und wie sieht das bei den anderen beiden Schlagworten aus?

Stichwort Beschleunigung: Durch die Beschleunigung von Trends, die bereits vor der Pandemie in vollem Gange waren, ändert sich die Nutzung von Immobilien rasant. So war das Wachstum des Onlinehandels bereits vor der Covid-19 erheblich. Die erzwungene Schliessung physischer Geschäfte vielerorts hat das Umsatzwachstum des E-Commerce Bereichs in die Höhe schnellen lassen, sodass die Ziele für die nächsten fünf Jahre wahrscheinlich schon heute erreicht sind. Schätzungen gehen davon aus, dass der Einzelhandelsumsatz über Online-Plattformen im Jahr 2021 – abhängig vom jeweiligen europäischen Land – etwa schon 15-25% des gesamten Einzelhandelsumsatzes ausmachen wird.

Ebenso bedeutsam ist die über Nacht gestiegene Zahl der Angestellten, die von Zuhause aus arbeiten. Dies könnte den Trend zum flexiblen Arbeiten tatsächlich um bis zu zehn Jahre nach vorne bewegt haben. Auch wenn sich die Büropräsenz zukünftig deutlich ändern wird, wird dies anders als im Einzelhandel nicht zu massiven Unternehmensinsolvenzen führen. Stattdessen findet in der Unternehmenswelt ein Umdenken bei der Nutzung von Büroräumen statt. In den meisten Fällen geht es nicht unbedingt darum, dass keine Büroflächen mehr benötigt werden, sondern vielmehr, dass sich die Aktivitäten in den Büros ändern werden.

Stichwort Polarisierung: Die Beschleunigung verschiedener Trends in der Immobilienbranche hat eine Polarisierung der Performance einzelner Sektoren zufolge, wie wir sie seit 30 Jahren nicht mehr beobachtet haben. Die Renditen im Logistiksektor laufen anderen Sektoren regelrecht davon, während die Performance im Einzelhandel in vielen Märkten nachlässt. Wir gehen davon aus, dass sich die Polarisierung einzelner Sektoren in der kommenden Zeit weiter fortsetzen wird.

Das Arbeiten von Zuhause wird also ein weiter viel diskutiertes Thema bleiben…

Die sich verändernde Rolle des Büros ist der Schlüssel für die Zukunft der Unternehmensproduktivität und möglicherweise auch der Rentabilität. So werden wir zwar einen geringeren Bedarf an Büroflächen im kommenden Jahrzehnt sehen. Vor allem aber müssen die Unternehmen die Büros an die zukünftigen Bedürfnisse anpassen. Dabei hat Covid-19 als Katalysator gewirkt und Trends beschleunigt, die schon lange vor der Pandemie vorhanden waren. Das Büro, wie wir es heute kennen, wird sich wahrscheinlich verändern, aber mit der Veränderung gehen auch Chancen einher.

Die Zunahme flexibler Arbeitsregelungen und eine weitaus stärkere Konzentration auf Umwelt- und Wellnessfaktoren stellen zweifellos die grösste Bedrohung für die Branche dar. Um sicherzustellen, dass Büroobjekte fit für die Zukunft sind, sollte der Fokus unserer Auffassung nach auf Flexibilität, Annehmlichkeit, Konnektivität, Technologie und Nachhaltigkeit bzw. FACTS (Flexibility, Amenity, Connectivity, Technology and Sustainability) liegen. Die Anwendung dieser Kriterien auf jede einzelne Büroimmobilie sollte dazu beitragen, dass sie den Test der Zeit besteht.

Zudem bedeutet Homeoffice nicht gleich das Ende des Büros, im Gegenteil. Aber es bedeutet, dass es in Zukunft eine grösseren Unterschied zwischen den Renditen von Büros, die die zukünftigen Bedürfnisse der Nutzer erfüllen, und solchen, die dies nicht tun, geben wird. Dabei sind die oben genannten FACTS-Kriterien entscheidend.

Wie sieht es, vor allem auch vor dem Hintergrund des wachsenden Online-Handels, bei den Retail- und Logistikimmobilien aus?

Die Polarisierung wird am besten durch den Niedergang des Einzelhandels und die wachsende Nachfrage nach Logistikimmobilien verdeutlicht. Am besten lässt sich die aktuelle Situation und auch das zukünftige Wachstum anhand globaler Daten erklären. So zeigt eine Statistik vom letzten Oktober, dass Grossbritannien mit fast 20% über die grösste E-Commerce-Durchdringung der Industrieländer verfügt. Andere Märkte, wie etwa Schweden oder Australien, weisen mit jeweils 10% deutlich niedrigere Werte auf. Wir sind jedoch der Ansicht, dass sich diese Werte weiter nach oben bewegen und die Nachfrage nach Logistikflächen anziehen wird.

Das stärkste Wachstum verzeichnen inzwischen Logistikzentren der sogenannten «letzten Meile», also solchen, die sich direkt neben den Ballungszentren befinden. Die neuesten Zahlen zeigen einen Anstieg der gesamten europäischen Logistikfläche auf 21,8 Millionen Quadratmeter in den ersten drei Quartalen des letzten Jahres, was einem Anstieg von 10% gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2019 entspricht.

Gleichzeitig verändert sich der Einzelhandelssektor und die Mieten werden infolgedessen neu bewertet. Während sich einige Einzelhandelsflächen, wie etwa Lebensmittelgeschäfte, gut entwickeln, müssen sich viele andere Geschäfte auf eine geringere und eine selektivere Nachfrage nach Waren einstellen, die entweder nicht online verfügbar sind oder nicht einfach über Online-Plattformen vertrieben werden können. Dieser Wandel wird sich auf den globalen Immobilienmärkten in unterschiedlichem Tempo vollziehen.

Die Corona-Pandemie hat nicht nur auf dem Büro-, Retail- und Logistikmarkt Spuren hinterlassen. Wie sieht es Ihrer Einschätzung nach bei den Wohnimmobilien aus? Welche Trends sind dort aktuell auszumachen?

Bislang hat die Pandemie kaum nennenswerte Auswirkungen auf den europäischen privaten Mietwohnungssektor gehabt. Dies gilt sowohl für den Mietmarkt als auch für den Anlagemarkt. Ein möglicher Grund dafür ist das Ausbleiben eines signifikanten Anstiegs der Arbeitslosigkeit durch die Pandemie angesichts der staatlichen Unterstützungen. Ausserdem sind wir nach wie vor der Überzeugung, dass die Treiber in diesem Sektor langfristiger Natur sind. Dazu gehören zum Beispiel die niedrige Bautätigkeit, schrumpfende Haushaltsgrössen, der demografische Wandel in den Städten und kaum erschwingliche Objekte angesichts des Aufwärtstrends der Häuserpreise.

Während die Städte mit den Folgen von Covid-19 konfrontiert sind, sollten die langfristigen Vorteile dieser Standorte jedoch nicht unterschätzt werden. Die Vorteile der Agglomeration mögen mit dem Aufkommen von Homeoffice etwas nachlassen, aber sie werden auf lange Sicht weiter bestehen bleiben. In gewisser Weise könnte flexibles Arbeiten die Städte sogar noch attraktiver machen. So ergeben sich durch die guten Transportsysteme und Infrastrukturen Vorteile für Städte und urbane Zentren.

Zwar dürften einige globale Gateway-Städte – also Städte, die aufgrund ihrer geografischen Lage und breiter Wirtschaftstätigkeit in der Region eine wichtige Rolle einnehmen – der zunehmenden Einführung flexibler Arbeitsverhältnisse und des E-Commerce eine gewisse Abwanderung erleben. Die Attraktivität des städtischen Lebens durch verschiedene Annehmlichkeiten und die soziale Interaktion vor allem für bestimmte Bevölkerungsgruppen wird hingegen bestehen bleiben.

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