Im jüngsten Real Estate House View von Swiss Life Asset Management geht das Research-Team davon aus, dass die geopolitischen Spannungen sowie die Zinsbewegungen erst teilweise in den Transaktionsvolumen reflektiert sind. Wir sprechen mit Francesca Boucard, Head Real Estate Research & Strategy bei Swiss Life AM über aktuelle Trends in Europa und in der Schweiz sowie über Inflationsrisiken und stützende Aspekte an den Immobilienmärkten.
Frau Boucard, Sie erwarten in Ihrer aktuellen Einschätzung europaweit Preisnachlässe im Immobilienbereich. Mit welcher Grössenordnung prozentual rechnen Sie und wie sehen Sie die Akzentuierung dieses Trends in den einzelnen Ländern?
Eine exakte prozentuale Einschätzung oder Prognose hier pauschal abzugeben, ist kaum möglich. Dafür sind die möglichen Auswirkungen und Folgen der aktuellen multiplen Krisensituationen mit Corona, dem Ukraine-Russland-Krieg und am Horizont auftauchenden Rezessionsszenarien auf die Immobilienmärkte kaum absehbar. Ich persönlich rechne aber mit Wertkorrekturen auf Immobilien in den verschiedenen Ländern Europas mit bis zu 15 Prozent, stark abhängig von Sektor und Qualität des Gebäudes. Das UK wird sicherlich schneller bei den Preisen reagieren als andere Märkte. Dazu müssen die tatsächlichen Transaktionen und die Wertkorrekturen im Bestand ausgewertet werden. Die Märkte in Deutschland und in der Schweiz reagieren aus der Erfahrung langsamer.
Geht die Preisschere bei den Immobilien hinsichtlich Objekt- und Lagequalität weiter auseinander?
Die Schere zwischen Immobilien mit hoher Qualität und an bester Lage und jenen an B- oder C-Standorten wird sicher noch mehr aufgehen. Dies kann sogar für manche Lagen deutliche Abwertungen mit sich bringen. Die Auswirkungen auf den Gesamtmarkt wird sich dann zeigen. Immobilien sind nicht mehr die alles überragende Investmentopportunität nach den Zinsheraufsetzungen vieler Zentralbanken. Die wirklichen Core-Immobilien werden aber nach wie vor nachgefragt, vielleicht sogar noch stärker als auch schon. Alle Sektoren sind von dem Zinsschub betroffen. Grundsätzlich kann ich sagen: Wenn sich die Zinsen bewegen und die Immobilienpreise nicht, dann ist etwas falsch.
Indexierungen in den Mietverträgen fungieren als Inflationsschutz: Wie beurteilen Sie diesen Faktor hinsichtlich einzelner Asset-Klassen auf dem Immobilienmarkt?
Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen und er hilft natürlich auch den Eigentümern von Immobilien bei der Neukalibrierung der Preise. Diese Art von Verträgen sehen wir ja vor allem in den kommerziellen Immobilienklassen wie Büros und Retail. Aber auch im Wohnsegment gibt es ja Anpassungen, beispielsweise über den sogenannten Referenzzinssatz. In der Schweiz ist dieser historisch tief bei aktuell noch 1.25%. Er ist in den vergangenen Jahren stetig nach unten gegangen. Nun sehen wir hier eine Trendwende. Diese wird aber mit reichlich Verzögerung den Wohnungsmarkt treffen. Wir rechnen da erst für das erste Quartal 2024 mit einem Anstieg des Referenzzinssatzes um 25 Basispunkte auf dann 1.5%. Die geringere Volatilität im Schweizer Markt, oder manche sagen auch weniger Schnelllebigkeit, hilft uns hierzulande und wir können uns auf das was da kommt vorbereiten. Die Rekalibrierung im Markt wird kommen, aber bezogen auf Länder und Asset-Klassen unterschiedlich auf der Zeitachse und in ihrer Stärke.
Immobilienanlagen in der Schweiz haben im 2021 sehr gut rentiert. Wie wirken sich im 2022 Inflation und steigende Zinsen auf den Rendite-Spread aus?
2021 war ein ganz besonderes Jahr für den Schweizer Immobilienmarkt: Erstmals innert 20 Jahren überstiegen die totalen Kapitalgewinne auf Immobilienanlagen die Cashflow-Renditen durch Mietzinseinnahmen. Dafür verantwortlich war die anhaltend hohe Zahlungsbereitschaft im Tiefzinsumfeld. Hier erwarten wir 2022 eine Zäsur: Die Nominalzinsen risikofreier Anlagen liegen rund 100 Basispunkte über dem Durchschnitt seit Beginn der Negativzinsphase. Eine abrupte Umschichtung zu Lasten direkter Immobilienanlagen scheint mir aber wegen der weiterhin negativen Realrenditen und teils inflationsgeschützter Cashflow-Renditen nicht opportun.
In den USA, im UK und in Deutschland wird für 2023 eine wirtschaftliche Rezession vorausgesagt. Wie sehen Sie hier die Entwicklung in der Schweiz und was bedeutet das für den Schweizer Franken?
Die Schweiz ist hier viel weniger zyklisch unterwegs. Das sehen wir ja auch beispielsweise an der deutlich geringeren Inflation im Vergleich zu den USA, zum UK oder auch zu Deutschland. Dank etwa des starken und sehr stabilen Pharma-Sektors bei uns und auch aufgrund der konstanten Zuwanderung zeigt sich die Schweizer Wirtschaft robuster als andernorts. Mit ihrem jüngsten Zinsentscheid hat die Schweizerische Nationalbank ein deutliches Zeichen gegen die drohende stärkere Inflation gesetzt. Wir vom Research-Team haben allerdings einen ersten kleineren Schritt antizipiert. Die Korrektur um 50 Basispunkte kam dann deutlicher und auch schneller.
Auch wenn die Inflation inzwischen in der Schweiz den höchsten Stand seit fast drei Jahrzehnten erreicht hat: Der Kaufkraftverlust für Frau und Herr Schweizer ist weniger ausgeprägt als im übrigen Europa. Wenn sich unser Szenario einer Rezession in den USA und Deutschland einstellen sollte, wird auch die Schweiz eine wirtschaftliche Abkühlung erfahren. Der Franken dürfte zusätzlichen Aufwertungsdruck gegenüber dem Euro erfahren.
Das anhaltende Bevölkerungswachstum ist ein stützender Trend am Schweizer Immobilienmarkt: Wie entwickeln sich die Zuwanderungszahlen in der Schweiz vor dem Hintergrund wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Krisen im Ausland?
Die aktuellen Zahlen des Staatssekretariats für Migration sind aus Sicht der Immobilieninvestoren positiv. Die Zuwanderung lag von Januar bis Mai 44% über dem des Vorjahres. Im selben Zeitraum sind – verglichen mit dem Durchschnittswert der vergangenen acht Jahre – rund 31% mehr Personen zugewandert. Diese Dynamik dürfte aufgrund des Stellen- und Beschäftigtenwachstums in der Schweiz anhalten. Die Zuwanderung aus dem Ausland dürfte einen Wert zwischen 70’000 und 80’000 Personen erreichen. Dies überträgt sich auf den Wohnungsmarkt, steigert die Nachfrage und senkt die Leerstandziffer.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Frau Boucard!