Kolumne, Immobilien, Architektur, Bauwirtschaft, Digitalisierung, BIM, Deutschland, Österreich, Schweiz, Europa

«Mol mol!»

DOMBLICK - Kolumne Digitales Bauen - Prof Dr Adrian Wildenauer - BFH Berner Fachhochschule - Kolumne 3 - VÖD 23012024

Gast-Kolumne von Prof. Dr. Adrian Wildenauer, Professor für digitales Bauen an der Berner Fachhochschule, Departement Architektur, Holz und Bau.

Willkommen in der kleinen, imaginären Planungs- und Baufirma von Beate Bütikofer und Hermann Hugentobler, irgendwo in der Schweiz. Beate bezeichnet sich selbst als «digital open native» und das ist sie mit unbändiger Leidenschaft. Immer die neuesten Gadgets dabei und flexibel im Arbeiten. Hermann bezeichnet sich selbst als «digital naiv» und hält nur bedingt etwas von neuen Technologien. Für ihn zählen sein (in farbigen Ordnern sorgfältig dokumentiertes) Fachwissen sowie sein grosses und regelmässig gepflegtes Netzwerk. In den nächsten Kolumnen begleiten wir die beiden ein bisschen. Sie werden auf Herausforderungen treffen, die der Autor aus eigener Erfahrung kennt. Ähnlichkeiten mit dem realen Leben sind durchaus beabsichtigt – sind wir ehrlich, jede/r von uns kennt zwei solche Kollegen.

Digitales Bauen: den Mehrwert testen

Tag zwei nach der letzten Kolumne: Hermann kommt polternd ins Büro, wirft seine abgewetzte Ledertasche in die Ecke und schimpft los. «Diese Zita! Das gibt’s doch nöd! Stolziert mit dem Kantonsrat Peter Maurer auf der Baustelle der neuen Turnhalle rum. Beide die ganze Zeit das Tablet vor der Nase, am diskutieren und rumwischen. Amüsieren sich prima.»

Beate weiss genau, was los ist. «Zita?», fragt sie unschuldig. Hermann schäumt: «Ja, genau die, und neulich hat sie schon wieder ein Projekt gewonnen! Genau das Projekt, für das ich mühsam die Pläne gefaltet habe und die Urkalkulation extra sauber mit der Hand geschrieben habe! Gott*%&+!»*%!».

Beate weiss, dass Zita im Gegensatz zu Hermann bekannt ist für ihre offene Art und die «bevor ich es beurteile, will ich es testen, ob es einen Mehrwert bringt»-Mentalität. Wie zum Beispiel die Drohnenaufnahme des letzten Bauareals mit anschliessender Weiterverwendung der Daten in der Planung. Alles keine Raketentechnik, relativ gschwind gemacht. Hilfsmittel aus dem letzten Jahrtausend, denkt sich Beate, mit Blick auf Hermanns hochroten Kopf.

Controlling-Carlo und die schwarze Null

«Hermann, hast Du bereits die Besprechung organisiert? Wir können doch Zita nicht so einfach das Feld überlassen!» – «Mol, mol, jetzt reicht’s. Wir werden unsere Marktanteile zurückholen!», brummt Hermann. Einen Tag später finden sich alle Beteiligten im stickigen, schlecht beleuchteten Besprechungsraum. Ein solches Zusammentreffen wurde bisher erfolgreich vermieden. Die Motivation der Beteiligten hält sich in Grenzen.

Man kennt sich ja: Carlo vom Controlling, stets darauf bedacht, immer erst nach Projektabschluss in Erscheinung zu treten und auf die dunkelrote bis schwarze Null hinzuweisen. Nicht auszudenken, würde er das während der Planung und Umsetzung machen – er würde gelyncht.

Köbis unendliche Master-Exceltabelle

Daniela von der IT, deren Hauptaufgabe es ist, zu schauen, dass das Netz im Geschäft stabil ist. Keine wirkliche Herausforderung. Wobei, die alten Transistoren brauchen mittlerweile einiges an Pflege. Da geht schon fast der halbe Tag drauf, ohne dass sie sich um die kaputten CD-ROM-Laufwerke zum Datenaustausch kümmern kann. Bauleiter Benno, der dieses Jahr zwei Nervenzusammenbrüche hatte und dazu ein schwaches Herz. Er konzentriert sich auf die Übungen aus dem autogenen Training, das ihm sein Arzt verschrieben hat.

Köbi von der Kalkulation, bekannt für seine unendliche Master-Exceltabelle mit allen Kostenwerten der letzten Projekte, die zehn Minuten braucht zum Starten. Wenn sie aber mal läuft, hat er wenig zu tun. Dann schreibt er aber jeweils die finale Kalkulation mit seinem Bleistift ins Reine und rechnet alles mit dem Taschenrechner noch einmal nach. Sicher ist sicher.

Tastentelefone und Fax versus digitales Zeug

Diese illustre Runde sitzt nun zusammen und wird von Hermann lautstark darüber in Kenntnis gesetzt, dass Zita Zenklusen einen Auftrag nach dem anderen bekommt. Immer länger werden die Gesichter der Beteiligten, wissen sie doch, wie sehr Hermann sich einsetzt für die Firma und wie konservativ er gegenüber Neuem eingestellt ist.

Nun kommt also Zita mit digitalen Methoden um die Ecke, hat augenscheinlich Erfolg und grast den Markt ab. Alle versuchen, den Augenkontakt mit Beate zu vermeiden. Ja, man konnte doch nicht wissen, dass dieses digitale Zeug wirklich mal kommt. Was spricht gegen Tastentelefone und Fax, solange sie noch funktionieren? Ist ja auch nicht nachhaltig, immer neue Sachen anschaffen. Und teuer. Und irgendjemand muss sich dann auch noch reindenken. Etwa du?

Projektleitung für digitale Transformation

«Hermann, hast Du denn eine Idee, wie wir besser werden als Zita?», fragt Carlo und merkt, dass alle ihn anstarren. Niemand würde von Hermann erwarten, dass er mehr plant als die Weihnachtsfeier und den Jahresausflug.

«Mol, mol, Carlo, gut, dass Du fragst! Hier mein Konzept: Beate wird nächste Woche zur Projektleiterin Digi-Dings… Digitalisierung, halt nein: digitale Transformation, ernannt. Alle folgen ihrem Kommando! Sie meint, das könne nicht so schwer sein. Und ich stehe ihr natürlich jederzeit mit Rat und Tat zur Seite!»

Hermann freut sich. Wieder ein Problem weniger. Soll sie nun doch zeigen, was sie kann, die Beate. Jetzt muss sie handeln und ihren Worten Taten folgen lassen. Wenn es gut läuft, ist es ihr gemeinsames Projekt, wenn es schlecht läuft, ist Beate schuld. Das hat noch immer funktioniert.

Digitales Bauen: ran ans Potenzial

Beate staunt über den alten Herrn: Ist er tatsächlich dafür? Egal, denkt sie sich. Das ist meine Chance zu zeigen, welches Potenzial im Digitalen steckt. Sie fängt an, ihre Vision für die Organisation zu erläutern, erzählt, was möglich ist, was Zita mit wenigen Mitteln erreicht hat.

Beate ist so enthusiastisch, dass sie nicht einmal das immer stärker werdende Funkeln in den Augen ihrer Kolleginnen und Kollegen bemerkt. «Zuerst einmal müssen wir wissen, wo unsere Stärken sind und was wir wollen im digitalen Kontext» legt sie los. «Wir erstellen erst einmal eine klare Liste mit unseren Zielen und Bedürfnissen, dann wissen wir, wo wir stehen. Wir wollen unsere Prozesse auf den Prüfstand stellen und schauen, ob wir nicht mit kleinen Dingen anfangen können, die eine grosse Auswirkung haben. Wie wäre es, wenn wir uns den Informationslauf für die Planung einmal ansehen? Köbi, wo siehst Du das grösste Potenzial?»

Mit gespitztem Bleistift legen die Beteiligten los. Ob sie nun ernst genommen werden? Ob sich tatsächlich etwas ändern wird? Beate freut sich, dass sie nach fünf Jahren endlich loslegen kann und malt ihre Vision in Gedanken. Nichts überstürzen, sondern gezielt digitale Hilfsmittel einsetzen, ohne die Kolleginnen und Kollegen zu überfordern. Das ist ihr Plan.

In den nächsten Digitales-Bauen-Kolumnen werden die beiden generationenübergreifend grundlegende Themen des digitalen Bauens eruieren und sich möglicherweise zusammenraufen, um das beste Ergebnis für sich und die Firma zu erreichen.

Vorheriger ArtikelNächster Artikel