Gast-Kolumne von Prof. Dr. Adrian Wildenauer, Professor für digitales Bauen an der Berner Fachhochschule, Departement Architektur, Holz und Bau.
Willkommen in der kleinen, imaginären Planungs- und Baufirma von Beate Bütikofer und Hermann Hugentobler, irgendwo in der Schweiz. Beate bezeichnet sich selbst als «digital open native» und das ist sie mit unbändiger Leidenschaft. Immer die neuesten Gadgets dabei und flexibel im Arbeiten. Hermann bezeichnet sich selbst als «digital naiv» und hält nur bedingt etwas von neuen Technologien. Für ihn zählen sein (in farbigen Ordnern sorgfältig dokumentiertes) Fachwissen sowie sein grosses und regelmässig gepflegtes Netzwerk. In den nächsten Kolumnen begleiten wir die beiden ein bisschen. Sie werden auf Herausforderungen treffen, die der Autor aus eigener Erfahrung kennt. Ähnlichkeiten mit dem realen Leben sind durchaus beabsichtigt – sind wir ehrlich, jede/r von uns kennt zwei solche Kollegen.
Alphabetisch gebündelt
Tag drei nach der letzten Kolumne: Beate hat sich längst damit abgefunden, dass bei Hermann der Groschen manchmal länger braucht, bis er fällt. «Gahts no? Sicher nöd!» ist seine Standard-Reaktion. Was man halt so hört auf dem Bau, wenn es um neue Methoden, Techniken und Hilfsmittel geht. Nach bereits fünf Jahren als stellvertretende Teilprojektleiterin weiss sie, wie sie damit umgehen muss.
An diesem Tag im November ist Hermann gerade dabei, seine Projektergebnisse seit 1983 schön gebündelt alphabetisch nach dem Nachnamen des Projektleiters abzulegen, da stürmt Beate in das kleine, schon etwas in die Jahre gekommene Büro. «Die grossen Bauherren kommen immer mehr in die Gänge und setzten auf digitale Methoden in ihren Projekten. Wusstest du, dass die drei grössten Infrastrukturbetreiber des Landes den Einsatz von BIM ab 2025 fordern? Da geht gerade richtig viel!»
Digitale Ausschreibungsunterlagen
«Immer langsam mit den Rössern», sagt Hermann in seinem brummbärigen Bariton, «jetzt schauen wir das erstmal in Ruhe an.» Hermann schiebt Stapel «M» zur Seite (wo war die fehlende Seite des Dossiers von Projektleiter Müller?). Beate erzählt von Anton Andermatten, dem Projektleiter eines schienengebundenen Infrastrukturanbieters und dessen grossspurigen Plänen. Ausschreibungsunterlagen soll es künftig nur noch digital geben und die Anbieter holen sich diese auf einer entsprechenden Online-Plattform. Vorbei die Zeiten von Klötzli-Grafiken auf 1990er-Jahre-Style-Ausschreibungsplattformen des Bundes.
«Wenn es nur das ist», meint Hermann «Plattformen gibt es viele. Aber das mit den digitalen Ausschreibungsunterlagen… Kann ich mir gar nicht vorstellen. Geht das rechtlich überhaupt? Mit dem neuen Datenschutzgesetz darf man ja gar nichts mehr.» Beate lässt sich nicht abwimmeln: «Natürlich geht das und diese Entwicklung war absehbar, man muss sie nur sehen wollen. Jetzt MÜSSEN wir mitziehen». Hermann runzelt die Stirn. Dieser Aufwand! Die Kosten! Mindestens… – wenn nicht noch mehr – Franken. Wie sollen sie das bezahlen, etwa mit dem Weihnachtsbonus?
«Sicher nöd!», schiesst es aus ihm heraus.
Weiter wie bisher?
Beate lehnt sich zurück: «Du hast recht. Am besten machen wir weiter wie bisher. Wir wursteln und wundern uns, dass wir dauernd allem und jedem hinterherrennen, unzählige Mängel beseitigen müssen und am Ende des Projektes alle unzufrieden sind. Und wir freuen uns für Zita Zenklusen, dass unsere Kunden zu ihr abwandern. Zita hat nämlich bereits letztes Jahr angefangen, mit digitalen Methoden wie BIM zu experimentieren. Das spricht sich herum und offensichtlich hat sie damit schon einige Aufträge an Land gezogen.»
Hermann schaut Beate schief an. Zita nutzt dieses BIM und hat Erfolg? Sicher nöd. Andererseits: tatsächlich hat er sich gefragt, warum der Auftrag für den Bau der neuen Turnhalle an die Zenklusen GmbH vergeben wurde, statt an sie (obwohl doch er – im Gegensatz zu Zita – mit Heiner, einem der Entscheidungsträger, kegelt). Und die Überbauung auf der hinteren Wiese? Da hätten sie doch schon längst was hören sollen. Muss er dann gleich mal anrufen und nachfragen – er notiert sich das sorgfältig auf einem Post-It.
«Alle an einen Tisch!»
«Also, was schlägst du vor, Beate?», fragt Hermann. «Erstmal alle vom Team an einen Tisch, diskutieren, was nicht gut läuft, wo man optimieren kann, wer was braucht in Zukunft», erwidert Beate. «Das funktioniert sicher nöd! Nie und nimmer!», sagt Hermann und dachte dabei an Carlo vom Controlling, Daniela von der IT, Bauleiter Benno und die anderen. An ihre bisherige «Zusammenarbeit». Unterlagen werden schön gebündelt in internen Kuverts übergeben. Eigentlich will keiner mit den andern etwas zu tun haben. Das gibt immer nur Fragen, Diskussionen, Aufwand, späten Feierabend.
«Doch, denn zum Glück haben wir dich. Wenn du mit deiner überzeugenden Art sie an einen Tisch bittest, werden sie kommen», meint Beate. «Ja, das könnte funktionieren», überlegt Hermann laut. Vermitteln und vernetzen war schon immer seine Stärke, auch letztens im Kantonsrat… Gerade setzt er an, um Beate mit dieser lustigen Anekdote zu erfreuen, aber die scheint es plötzlich eilig zu haben. «Merci», ruft sie noch und verlässt das Büro von Hermann so schnell, dass mehrere Blätter durch den Raum fliegen. Hermann hebt sie auf und freut sich, dass er nun endlich die fehlende Seite vom Dossier Müller gefunden hat. Und dann macht er sich auf den Weg zu Danielas Büro. Er hat eine Mission.
In den nächsten Kolumnen werden die beiden generationenübergreifend grundlegende Themen des digitalen Bauens eruieren und sich möglicherweise zusammenraufen, um das beste Ergebnis für sich und die Firma zu erreichen.