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Lünendonk: „Mehrwert aus den FM-Daten ziehen ohne ineffiziente Doppelarbeit“

DOMBLICK-Beitrag Lünendonk Hossenfelder (c) Depositphotos_21810577_Interview mit Thomas Ball

Thomas Ball ist Analyst für Facility Services, Industrieservice und Zeitarbeit sowie seit 2020 Partner bei der Lünendonk & Hossenfelder GmbH. Im DOMBLICK-Interview spricht er über Konsolidierungsprozesse, «low hanging fruits» und «marginal gains» in der Facility Management (FM) Branche.

Zusammenschlüsse und Marktkonsolidierungen in der FM-Branche in der Schweiz (ISS & Livit) und in Deutschland (Apleona und Gegenbauer) haben zuletzt grosse Nachrichten gemacht. Was sind die Ursachen und was mögliche weitere Folgen im Markt, Herr Ball?

Thomas Ball: Der Schweizer Markt konsolidiert sich – genau so wie der deutsche – weil FM immer komplexer wird. Personalmangel, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Regulierung, komplexere Gebäudetechnik sind nur einige Stichworte. Zum anderen konzentrieren sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft und verkaufen Tochtergesellschaften, die nicht dazu zählen. Das gilt für Swiss Life mit Livit genauso wie Vorwerk und hectas, die an Vebego verkauft wurde.

In Österreich gilt das für die Siemens Gebäudeservice, die an Apleona ging und die Porreal (an Caverion). Zudem fragen immer mehr Kunden integrale Services nach – hier reagiert der Markt durch eine Ausweitung des Angebots. Für die Kunden bedeutet das mehr Angebot an integralen Dienstleistungen und großen Dienstleistern mit entsprechenden Ressourcen, um in Zukunftsthemen zu investieren. Einzelgewerkeanbieter gibt es weiterhin in beiden Märkten viele – und dafür wird es auch auf absehbare Zeit eine Nachfrage geben.

Was sind Ihrer Meinung nach momentan die «low hanging fruits» in Bezug auf die Digitalisierung im FM?

Ball: Wenn man über «low hanging fruits» spricht, dann sind es meist aus dem ein oder anderen Grund keine – denn die sind oft bereits geerntet, um in dem Bild zu bleiben. Wichtig sind zunächst Standards und branchenweite Mindestanforderungen an Daten. Dann ergibt sich meist eine Eigendynamik und es wird viel umgesetzt. Die Nachhaltigkeitsregulierung zur Berichterstattung («ESG») trägt aus unserer Sicht viel dazu bei.

Wie stufen Sie das Thema «BIM4FM» ein (BIM = Building Information Modeling)?

Ball: BIM4FM hat sich bisher kaum etablieren können. Der Aufwand und der Mehrwert sind für viele mögliche Anwender bisher nicht gross genug. Mehr Dynamik liegt aktuell in der Frage, ob sich auch in Mitteleuropa das Computer Aided Facility Management (CAFM) zum Integrated Workplace Management (IWMS) mit den dazugehörigen Systemen weiterentwickelt. Hier sind die angelsächsischen Märkte weiter. IWMS umfasst neben CAFM auch weitere bewirtschaftungsrelevante Funktionen wie etwa Workplace Management. Das hat im Zuge der shared work spaces seit Corona deutlich an Bedeutung gewonnen.

Im Digital-FM hängt Vieles von der Datenlage ab. Wie gelangen die Unternehmen an aussagekräftige und «saubere» Daten?

Ball: Diese Frage ist berechtig, aber so alt wie die Debatte um Digitalisierung selbst. Eine wesentliche Ursache ist, dass viele Auftraggeber erwarten, dass Provider in ihren Systemen arbeiten, aber nur bedingte Rechte und Zugriffe haben. Das führt in der Praxis zu einer Doppelarbeit, denn der Dienstleister muss sein eigenes System pflegen, um seine Leistung effizient erbringen zu können. Da sind Fehler vorprogrammiert – auch bei bester Absicht.

Ein möglicher Ansatz kann es sein, Daten am Gebäude zu pflegen und nicht im Unternehmen. Denn Eigentümer- und Nutzerwechsel führen oft dazu, dass wenige bis keine Daten vorhanden sind. Abhilfe könnte es schaffen, unternehmensübergreifend mit Standards zu arbeiten und wenn beide Seiten einen Mehrwert aus den Daten ziehen ohne ineffiziente Doppelarbeit.

Standards ermöglichen Automatisierung und eine Reduktion des menschlichen Fehlers. Die Ausstattung von Gebäuden mit Sensorik und digitalen Touchpoints, um die Serviceerbringung zu dokumentieren, ist da ein sicher sinnvoller Schritt.

Werden wir dank Digitalisierung in Zukunft mehr oder weniger FM-Mitarbeitende brauchen?

Ball: Die Frage ist spontan nur schwierig zu beantworten. Auf der einen Seite steigen die Anforderungen an die einzelnen Mitarbeiter, weil Systeme ausgelesen und bedient werden müssen. Anlagen mit digitalen Komponenten wie Sensoren müssen zudem gewartet und instandgehalten werden. Aber: Das grosse Potenzial liegt darin, dass mehr Raum für die «menschliche» Tätigkeit übrigbleibt und Dokumentation und Disposition sowie kaufmännische Prozesse deutlich vereinfacht werden können und müssen.

Die Hoffnung vieler im Markt ist, dass sich durch digitale Servicekomponenten die Folgen des gravierenden und ansteigenden Personalmangels abflachen werden. Stand heute muss sich kein im FM Beschäftigter in der Schweiz und Deutschland sorgen machen, dass seine Arbeitskraft künftig nicht mehr gebraucht wird. Vom selbstreinigenden und instandhaltenden Gebäude sind wir noch weit entfernt.

Thema Fachkräftemangel: Wie sieht es da in der DACH-Region bei den Facility Services aus?

Ball: Das ist tatsächlich derzeit die «Königsfrage». Insbesondere in D und CH ist der Personalmangel inzwischen das wichtigste Thema. Einfache Lösungen gibt es keine. Manche Übernahmen hätten auch nicht stattgefunden, wenn man nicht die Mitarbeitenden hätte übernehmen können. Immer mehr Dienstleister nehmen nicht mehr an bestimmten Ausschreibungen teil, weil sie schlicht das Personal nicht haben beziehungsweise nicht rekrutieren können. Für die Marktdynamik ist das gravierend, denn die Dienstleister können sich ein Stück weit auf die lukrativeren Aufträge konzentrieren. Das wird langfristig und bei Fortsetzung der Lage auch dem Image der Branche guttun.

Welche Bedeutung haben die drei Buchstaben ESG auf das heutige und morgige Facility Management (ESG = Environmental, Social, and Governance)?

Ball: ESG ist erstmal ein regulatorisches Thema, dass aber tiefgreifende Auswirkungen hat. Unternehmen die der Regulierung unterliegen müssen ihre Nachhaltigkeit testieren lassen. Die dafür notwendigen Daten kommen für die Immobilien auch aus dem Facility Management – und das muss digital und automatisch erfolgen.

ESG wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Digitalisierung im Markt vorantreiben. In den kommenden Jahren werden viele Auftraggeber Nachhaltigkeitsziele in die FM-Verträge schreiben. Wer sich darauf nicht einstellt und hier auch nicht beratend unterstützen kann läuft Gefahr, Geschäft zu verlieren.

Vorhin hatten wir es von den «low hanging fruits». Wenn diese einmal geerntet sind, dann kommen irgendwann die sogenannten «marginal gains» – dann geht es auch um den CO2-Fussabdruck von Catering, Gebäudereinigung und den Fahrzeugflotten. Da können FM-Provider einen Unterschied machen.

Die Abschlussfrage: Was kann die Facility Management & Services-Branche ganz konkret zur Dekarbonisierung der Immobilienwirtschaft («Net Zero») beitragen?

Ball: Viel – angefangen von der Beratungsleistung über technische Audits um den Energieverbrauch niedrig zu halten bis hin zur bedarfsorientierten Steuerung. Aber auch im weiteren Sinn leistet die FM-Branche viel. Wärmepumpen und Solaranlagen auf Firmengeländen müssen installiert, gewartet und betrieben werden. Mittelfristig werden viele immobiliennahe Nachhaltigkeitsbeiträge vom FM bewirtschaftet. Am Ende liegt es aber am Auftraggeber, der das Know how der Service Provider auch nutzen und vergüten muss. In der Dienstleistung gilt immer noch das Bestellerprinzip. Eine grosse Aufgabe der FM-Provider ist die Dekarbonisierung der eigenen Prozesse, die Haupttätigkeit ist indes in der Immobilie des Auftraggebers.

Vielen Dank, Herr Ball, für das sehr interessante Gespräch!

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