Die zuletzt enttäuschende Entwicklung börsenkotierter Immobilienwerte hat gezeigt, dass viele Marktteilnehmer steigende Zinsen als schlechte Nachricht für das Anlagesegment sehen. Prof. Dr. Jan Viebig (CIO ODDO BHF AG; im Bild oben links) und Laurent Denize (Global CIO ODDO BHF Asset Management; im Bild oben rechts) von der international tätigen Finanzgruppe und Privatbank erläutern im folgenden Beitrag, warum dies nicht zwangsläufig so sein muss.
Auch wenn der Immobiliensektor unter Anlegern gemeinhin als stabil und vorhersehbar gilt, war er nicht immun gegenüber den diversen Wellen der Corona-Pandemie. Unter dem Trend zum Arbeiten von zuhause aus litten insbesondere die Fundamentaldaten von Gewerbe- und Büroimmobilien. Die Pandemie hat aber auch mehrere Trends beschleunigt, die sich schon zuvor in der «alten Welt» abgezeichnet hatten. Zudem hat sie die Dynamik in anderen Segmenten beflügelt, insbesondere den Sektoren für Wohn- und Logistikimmobilien, Gesundheitseinrichtungen und alternativen Objekten. Hier unsere Einschätzungen von ODDO BHF zu den einzelnen Asset-Klassen:
Büroimmobilien: Vermeiden
Vor der aktuellen Krise zeigte das Bürosegment einen positiven Trend, ablesbar etwa an steigenden Mieten in den grossen europäischen Ländern. Nun belastet die Ungewissheit im Zusammenhang mit der Entwicklung rund um das Thema Homeoffice dieses Segment zunehmend, da Büroraum kurz- bis mittelfristig weniger gefragt sein wird. Eine gute Nachricht ist längerfristig gesehen, dass Mieter neue Bürokonzepte nachfragen werden, mit mehr Flächenbedarf für kollaboratives Arbeiten, neue Serviceangebote für Mitarbeiter und ein effizienteres Gebäudemanagement (IT, Sicherheit, Energieeffizienz). Darüber hinaus ist eine wachsende Polarisierung zu erkennen zwischen gut gelegenen Objekten in Geschäftszentren und Büroflächen eher in Randlagen, die – was Aktivität und Bewertungen angeht – stärker in Mitleidenschaft gezogen werden dürften. Zudem ist bis 2022 mit einer anhaltenden Abwärtskorrektur bei den Mieten zu rechnen.
Einzelhandel: Vermeiden
Bereits seit mehreren Jahren leidet der Sektor strukturell unter der zunehmenden Nutzung des Online-Handels. Die Pandemie hat – auch durch die wiederholten Lockdowns – diesen Trend nochmals beschleunigt und traditionelle Akteure des Sektors in Bedrängnis gebracht. Trotz auf den ersten Blick attraktiver Bewertungen bestehen hier hinsichtlich der Mieteinnahmen doch weiterhin zahlreiche Unwägbarkeiten.
Wohnimmobilien: Halten
Der Sektor für Wohnimmobilien ist von der aktuellen Krise kaum betroffen und eröffnet unverändert Wachstumschancen, insbesondere in Deutschland. Ebenfalls widerstandsfähig gezeigt hat sich dank der ungebrochenen Nachfrage seitens institutioneller Investoren auch vor allem der Wohnimmobilienmarkt in Frankreich. Ganz generell: Die Urbanisierung wird durch die Krise nicht in Frage gestellt, sie steigert vielmehr die Attraktivität dieser Anlageklasse. Zudem ist ein neuer Trend erkennbar: die Umwandlung nicht länger gebrauchter Büroflächen in Wohnraum. Möglich wird dies durch eine Annäherung der Preise in den beiden Segmenten und die Verdichtung von Immobilien.
Logistikobjekte: Kaufen
Der durch die Pandemie ausgelöste Abschwung hat klar aufgezeigt, wie wichtig ein gut organisiertes Lieferkettenmanagement ist. Dies gilt insbesondere für die urbane Logistik, die von der Flächenverknappung profitiert. Ausserdem dürften die Verbraucher weiterhin den Online-Handel nutzen, der in einigen europäischen Ländern noch nicht sehr verbreitet ist und daher noch viel Potenzial bieten könnte.
Auswirkungen steigender Anleiherenditen auf börsenkotierte Immobilienwerte
Wie die zuletzt enttäuschende Entwicklung börsenkotierter Immobilienwerte gezeigt hat, scheinen viele Marktteilnehmer steigende Zinsen als schlechte Nachricht für den Immobiliensektor zu sehen. Dahinter steckt eine simple Logik: Steigende Zinsen bedeuten höhere Erwartungen der Anleger an die Renditen von Immobilien (höhere Risikoprämien) und niedrigere Vermögenswerte. Einige der hier folgenden Punkte sprechen jedoch dafür, dass dies nicht zwingend der Fall sein muss:
- Erstens scheint hierbei das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ausser Acht gelassen zu werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass steigende Zinsen in der Regel ein Indikator für steigende Wachstumserwartungen sind, was wiederum ein positives Signal für Immobiliengesellschaften wäre. So sind Mieten im gewerblichen Sektor in der Regel an Verbraucherpreisindizes gekoppelt oder (wie im Falle Frankreichs) an zusammengesetzte Indizes mit Wachstumsraten als Referenzgrösse. Ein anziehendes Wirtschaftswachstum und eine steigende Inflation verschaffen Immobiliengesellschaften damit wachsende Einnahmen. Kurz gesagt, wenn die Zinsen aufgrund einer starken Konjunktur und Inflation steigen, können solidere Fundamentaldaten etwaige negative Auswirkungen von Zinsanstiegen ausgleichen. Zudem ist das Dividendenwachstum in historischer Sicht immer höher ausgefallen als die Inflation. Langfristig kann daher eine Anlage in Immobilienwerten die Kapitalerosion in Folge von Inflationsdruck begrenzen.
- Zweitens hat die EZB klar ihre Bereitschaft signalisiert, durch Beibehalten einer unterstützenden Geldpolitik für weiterhin günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen. Zudem wäre auch bei einem US-10-Jahres-Zinssatz von knapp 1,75% (von dem wir in Europa noch weit entfernt sind) das Zinsumfeld für Immobilien immer noch günstig (durchschnittliche 10-Jahres-Risikoprämie von 2%).
- Drittens haben Immobiliengesellschaften die niedrigen Zinsen genutzt, um sich zu sehr günstigen Konditionen zu refinanzieren. Der Verschuldungsgrad des Sektors liegt weiterhin im Rahmen mit durchschnittlich rund 44% bei Unternehmen aus der Eurozone und Finanzierungskosten von 1,6%. Optimiert wird dies noch durch die Ausweitung der Laufzeit (rund 6,9 Jahre).
Ausblick – Was tun mit dem Immobilienaktien-Portfolio?
Die Situation, die wir aktuell erleben, ist für eine gute Entwicklung börsenkotierter Immobilienwerte nicht unbedingt vorteilhaft. Solange es jedoch nicht zu einem unkontrollierten Anstieg der Langfristzinsen kommt, sind wir weiterhin zuversichtlich gestimmt.
Und zwar aus den folgenden fünf Gründen:
- In den kräftigen Abschlägen auf den Nettoinventarwert von Bürogebäuden (etwa 30%) sind sinkende Mietpreise bereits eingepreist.
- Die Erholungsphase, die von einer Verbesserung/Beschleunigung der Nachfrage gekennzeichnet ist, wird durch die weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen unterstützt.
- Wir sehen bei entsprechender Risikobereitschaft Anlagechancen bei diversen Immobilienunternehmen, die auf langfristige Trends ausgerichtet sind: Online-Handel, Logistik, Datenzentren, Sendemasten, Forstwirtschaft usw.
- Wir erwarten ein Wachstum des Nettoinventarwertes um 2,4% und eine Dividendenrendite von 3,6%. Die Gesamtrendite läge unter Zugrundelegung dessen bei 6,0% – was in der jüngsten Kursentwicklung nach unserer Überzeugung nicht hinreichend widergespiegelt wird. Wir raten daher zur Geduld, da wir davon ausgehen, dass die Entwicklung von Immobilienaktien über kurz oder lang zur operativen Entwicklung aufschliessen sollte.
- Börsenkotierte Immobiliengesellschaften scheinen überdies langfristig gut aufgestellt, um vom urbanen Wandel und der Entwicklung der Städte der Zukunft zu profitieren. Öffentliche Investitionen in diesem Bereich eröffnen weiteres Wertpotenzial für den Sektor. Ist es zu spät für einen Verkauf, ist es aber noch zu früh für eine Neupositionierung im Sektor. Was könnten mögliche Impulsgeber sein? Ein guter Anfang wäre eine Stabilisierung der Zinsen und eine Neubewertung physischer Immobilienwerte insbesondere im Bürosegment. Noch aber ist es nicht so weit.