Francesca Boucard, Economist Real Estate bei Swiss Life Asset Managers in Zürich, beschreibt mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Immobilienmärkte Europas.
«In unserem Basisszenario erwarten wir im ersten Halbjahr 2020 eine Rezession in den Industrieländern, gefolgt von einer U-förmigen Erholung. Basierend auf der chinesischen Blaupause gehen wir davon aus, dass die Produktion in Europa und den USA im ersten Halbjahr 2020 um etwa 10% bis 20% sinkt. Die Produktion wird frühestens Ende 2020 auf das Niveau von Ende 2019 zurückkehren.»
Steuer- und geldpolitische Massnahmen würden dazu beitragen, einen länger anhaltenden Nachfrageschock teilweise zu verhindern, so Boucards Einschätzung. So startete etwa die Schweiz Ende März ihr staatlich finanziertes Kreditprogramm für kleine Unternehmen mit einem Volumen von 50 Milliarden CHF. Bis Anfang April beantragten bereits 30.000 Unternehmen Kredite. In den USA hingegen, wo Kurzarbeitsregelungen nicht bekannt sind, beantragte eine Rekordzahl von 16 Millionen Menschen in den vergangenen Kalenderwochen Arbeitslosengeld.
Auswirkungen auf die europäischen Immobilienmärkte
«Wir gehen davon aus, dass die Immobilienmärkte der wirtschaftlichen U-förmigen Erholung folgen werden. Dies jedoch mit einer Verzögerung. Auch die Investitionstätigkeit dürfte sich entsprechend erholen», sagt Boucard. Die strukturellen Veränderungen in Folge der Pandemie und der staatlich verordneten Schutzmassnahmen beschleunigten derzeit im Einzelhandel das Online-Shopping, wovon wiederum auch der Logistiksektor profitiere. Hierauf hätten sich Investoren entsprechend anzupassen. «Für die europäischen Märkte erwarten wir, dass die Marktwerte im Jahr 2020 in allen Segmenten zunächst sinken werden, bevor sie sich erholen.
Hotel und Einzelhandel
«Der Hotelmarkt ist der derzeit am unmittelbarsten betroffene Sektor; Veranstaltungen und Reisen werden abgesagt oder verschoben. Eine Entschädigung ist unwahrscheinlich. «Insgesamt erwarten wir, dass die Reiseaktivität am längsten gedämpft wird.» Derzeit seien zudem die physischen Einkaufsaktivitäten, mit Ausnahme des Lebensmitteleinzelhandels, zum Stillstand gekommen, so Boucard. Gleiches gilt für die Gastronomieszene. «Die Retail-Landschaft, wie wir sie kennen, wird sich wohl verändern.»
Büro und Industrie
Die Auswirkungen auf den Bürobereich hängen von der Dauer der verschiedenen Lockdown-Massnahmen ab, der Wirksamkeit der Rettungspakete und von den tatsächlich am Markt erzielten Mieten ab. Dieser langfristige Effekt trifft dann Unternehmen, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden. So sind die Mieterwartungen für 2020 heute tiefer als noch zu Jahresbeginn, so die Annahme Boucards.
«Die Störung der globalen Lieferketten ist der Haupteffekt auf den Industrie– und Logistiksektor. Hier können wir eine teilweise <De-Globalisierung> beobachten, was bedeutet, dass die Industrie ihren eigenen Angebotsbestand erhöht, um mögliche Schocks in der Lieferkette zu überstehen. Dies könnte zu einer höheren Nachfrage nach Lagerflächen führen, zugleich könnte aber auch die internationale Logistik geschädigt werden.
Wohnen und Gesundheit
«Keine direkten Auswirkungen sind zunächst auf dem Wohnungsmarkt zu erwarten. Jedoch könnte die Nachfrage nach Wohnimmobilien angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs und der Unsicherheit vorübergehend sinken», erklärt die Immobilienökonomin von Swiss Life Asset Managers. In Deutschland beispielsweise müssen private Mieter angesichts eines Ende März verabschiedeten Gesetzes keine Kündigung ihres Vertrages befürchten.
Negative Auswirkungen habe auch der Gesundheitssektor nicht zu erwarten. Generell und insbesondere in Krisenzeiten müssten Immobilienbetreiber vor allem um die Gesundheit und Sicherheit von Patienten und Bewohnern Sorge tragen.»