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«Henusode¹…»

DOMBLICK - Kolumne Digitales Bauen - Prof Dr Adrian Wildenauer - BFH Berner Fachhochschule - Kolumne 4 - VÖD 21032024

Willkommen in der kleinen, imaginären Planungs- und Baufirma von Beate Bütikofer und Hermann Hugentobler, irgendwo in der Schweiz. Ausgezeichnet aufgezeichnet von Adrian Wildenauer, Professor für Digitales Bauen an der BFH Berner Fachhochschule. Heute Folge 4 dieser Gast-Kolumne.

Beate bezeichnet sich selbst als «digital open native» und das ist sie mit unbändiger Leidenschaft. Immer die neuesten Gadgets dabei und flexibel im Arbeiten. Hermann bezeichnet sich selbst als «digital naiv» und hält nur bedingt etwas von neuen Technologien. Für ihn zählen sein (in farbigen Ordnern sorgfältig dokumentiertes) Fachwissen sowie sein grosses und regelmässig gepflegtes Netzwerk. In den nächsten Kolumnen begleiten wir die beiden ein bisschen. Sie werden auf Herausforderungen treffen, die der Autor aus eigener Erfahrung kennt. Ähnlichkeiten mit dem realen Leben sind durchaus beabsichtigt – sind wir ehrlich, jede:r von uns kennt zwei solche Kollegen.

Digitales Bauen – ein Käfig voller Narren?

Tag vier nach der letzten Kolumne: Hermann amüsiert sich prächtig über die geschäftigen Kolleginnen und Kollegen, die fleissig und sogar nach dem heiligen Feierabend die Köpfe zusammenstrecken und irgendwelche Prozesse mit Notizzetteln abbilden. «Scheint Spass zu machen, dieser Austausch, das kenne ich sonst nur vom Kegeln. So ein Geklebe und Getue, als ob man da sinnvolle Gedanken aufs bunte Zetteli bringt, das ist doch ein Käfig voller Narren», denkt sich Hermann, als er sich genüsslich seine Pfeife stopft. Als ob man damit irgendwas bewirken könne, wenn man mit bunten Zetteli einen seit Jahren, ja Jahrzehnten etablierten Prozess in Frage stellt.

Es hat schon einen Grund, warum der Prozess so ist, wie er ist – das mag für diese jungen Hüpfer halt einfach nicht nachvollziehbar sein, denkt er sich. Die Kunden wollen Verlässlichkeit, im analogen Bauen, wie es Beate letzte Woche titulierte, hat man eben Erfahrungswerte. Carlo vom Controlling kann ganz genau sagen bei der Schlussabrechnung, wieviel kg Bewehrung pro Kubikmeter Beton in der Stütze sein hätte sollen – er sagt es nur nie vorher. «Warum eigentlich nicht, ich sollte ihn mal…», als die Tür aufgeht und Beate in das in die Jahre gekommene Büro stürmt.

Voller Elan ruft Beate, dass man mit dem ersten Vorschlag für einen möglichen Anwendungsfall fertig sei, Hermann solle doch kommen und es sich mal anschauen, jeder habe tatkräftig mitgearbeitet. Sogar Erna, die Sekretärin hat ihren Büromaterialschrank dafür geöffnet und ihre sonst so heiligen Eddings gesponsert. Hermann beginnt zu grinsen und denkt sich, dass man die Spiele beginnen lassen solle.

Pflästerlepolitik nach dem St. Florians Prinzip

Zehn Minuten später treffen sich alle im gut durchlüfteten Besprechungsraum, wo mehrere Pinnwände wild mit bunten Zetteln, verbindenden Schnüren und Moderationstafeln stehen. «Eine Freude für jeden Maler», grummelt Hermann nur so laut, dass Beate es hört. Sie ignoriert gekonnt den Miesepeter und gibt eine Kurzzusammenfassung des erreichten. «Wir haben unsere einfachen unterstützenden Prozesse innerhalb der Firma unter die Lupe genommen und festgestellt, dass wir ineffizient miteinander arbeiten – zu viel Zeit geht verloren im Warten, wir reden nicht ordentlich miteinander und unsere Fehlerkultur hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen.»

Alle schluckten – ja, das wusste jeder, dass es mit der Firma nicht so zum Besten steht, aber wo solle man denn anfangen? Es gibt ja soviele Themen in diesem digitalen Gedöns, dass man gar nicht weiss, was wichtig und richtig ist. Einen Berater, der einem schnell irgendwas andreht, den hatte man schon mal, hat nur Geld gekostet und Verunsicherung. Wir geben viel Geld aus, es sind aber keine Investitionen in unsere Zukunft, sondern Pflästerlepolitik nach dem St. Florians Prinzip. Da, wo es am meisten brennt, löscht man schnell irgendwie, ohne sich nachhaltig um die Problemlösung zu kümmern. Beate merkte, dass sie das gar nicht still vor sich hin sagte, sondern ausgesprochen hatte – die Bombe war geplatzt.

Alle Beteiligten, Beate, Carlo vom Controlling, Hermann, die graue Eminenz, Bauleiter Benno, Köbi von der Kalkulation, Daniela von der IT und Erna, die nur zufällig da war, sahen sich alle gegenseitig wie erstarrt an – der Elefant im Raum, das unausgesprochene, das seit Monaten und Jahren da stand, wurde endlich einmal ausgesprochen. Wie konnte Sie nur? Wobei, eigentlich hat sie ja recht…

Der exzessive Excel-Nutzer

Nach einer gefühlten Ewigkeit fassten sich die ersten ihren Mut und baten Beate, weiter zu machen. «So, äh, dann legen wir los. Wir haben einmal den Prozess aufgezeichnet, den eine Kundenanfrage bei uns intern geht, bis sie erledigt ist. Wir hatten bei 96 internen Prozessschritte fast den Mut verloren, aber es wurden Gott sei Dank nicht mehr viele, um genau zu sein 105 Schritte. Wir müssen eine Anfrage im Schnitt 105mal in die Hand nehmen, bis sie erledigt ist. Wir haben kein Tracking. Benno hat im Baucontainer meist nur diese Zeitschrift, wie heisst sie, ah ja ’30 Sekunden‘. Auf dieser notiert er sich auf der Baustelle dann meist seine Anrufe, die er dann an Erna weitergibt, die versucht, zwischen Horoskop und Hörnlirezept die Schrift zu entziffern und gibt es zurück.

So geht das hin und her, bis die Meldung in der richtigen Abteilung ist, kann es schon mal ein paar Tage dauern. Wir sagen nicht, dass dies der Grund ist, warum wir mit dem digitalen nicht weiterkommen, aber es ist nicht von der Hand zu weisen. Gut, dass Köbis Schwippschwägerin Cordula bei Zita arbeitet. Beim letzten Fondue hatten sie en Plausch und dann über Prozesse gesprochen. Cordula hat da eine Ticketing-Software, mit denen sie solche Sachen ganz einfach erfasst und diese nachvollziehbar tracken kann. Alleine damit spart sie sich schon eine Woche Zeit pro Vorgang», fasste Beate zusammen, um Luft zu holen. Kein Wunder, war sie die erste beim Fondue, dachte sich Köbi, das hatte er noch gar nicht so gesehen, dass man digitale Hilfsmittel so nutzen könnte. Er nutzte bisher nur Excel, aber das exzessiv.

Digitales Bauen – nur noch fünf Prozessschritte

Beate fuhr fort. Wir haben den nun einmal aufgetragen in Blau, ihr seht der geht von ganz links bis einmal ganz rechts, darunter haben wir einen möglichen neuen gelben Prozess aufgetragen. Falls ihr ihn nicht seht, er startet da in der Mitte und hat nur noch fünf Prozessschritte: Meldung geht ein, wird eingegeben, wird an den Bearbeiter zugeteilt und abgearbeitet, als erledigt markiert und zurückgemeldet. Hermanns Augen gingen über: «Damit kannst Du, Beate ja nachvollziehen, wer arbeitet und wer nicht? Das ist ja fast ein Bestrafungswerkzeug?»

Beate wusste, dass das kommen wird und blieb entspannt: «Das kann man so sehen, es ist aber ein Transparenzwerkzeug. Wenn man weiss, dass bspw. Köbi daran arbeitet oder Benno, dann müssen wir uns nicht einmischen und können die beiden machen lassen. Wenn Sie Hilfe benötigen, kommen Sie auf den jeweiligen Bearbeiter zu. Darum geht es: nicht alle machen das gleiche, sondern der oder die beste Bearbeiterin für den Job macht die Aufgabe. Lasst es uns probieren! Was Zita kann, können wir schon lange und das noch besser» rief sie in die Gruppe und sah in die strahlenden Gesichter. Endlich werde ich ernst genommen wurde aus den Gesichtern deutlich.

Digitalisierung ist ein lang andauernde Entwicklung

«Ja, aber, aber, aber, was hat das mit Digitalisierung zu tun?!? Das ist ganz normales Prozessmanagement, das kann doch jeder», rief Hermann, nicht merkend, dass seine Kollegen die Augen verdrehten. «Ja, korrekt, lieber Hermann, das hast Du richtig erkannt, genau das ist es. Digitalisierung heisst nicht, dass wir sofort alles ändern, sondern es ist ein lang andauernder Entwicklungsschritt, den wir gehen müssen. Nur, wenn uns klar ist, war wir wollen, können wir loslegen. Schlechte Prozesse zu digitalisieren, heisst, einen schlechten digitalisierten Prozess zu haben. Sehen wir es als Optimierung für uns – den Zita-Effekt».

Hermann stürmte aus dem Besprechungsraum, laut brummelnd, so dass es jeder mitbekommen sollte. Das bekam nur keiner mit, weil sie sich angeregt über Optimierungspotenzial unterhielten und endlich alle ins Gespräch kamen.

  • ¹: «Henusode» ist Berndeutsch und steht für den Ausspruch der Gelassenheit, wenn man vor vollendete Tatsachen gestellt wird und kann auch als «Dann ist es halt so» gedeutet werden.

In den nächsten Kolumnen Digitales Bauen werden die beiden generationenübergreifend grundlegende Themen eruieren und sich möglicherweise zusammenraufen. Um das beste Ergebnis für sich und die Firma zu erreichen, was das grosse Feld Digitales Bauen betrifft.

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