Willkommen in der kleinen, imaginären Planungs- und Baufirma von Beate Bütikofer und Hermann Hugentobler, irgendwo in der Schweiz. Ausgezeichnet aufgezeichnet von Adrian Wildenauer, Professor für Digitales Bauen an der BFH Berner Fachhochschule. Heute (endlich!) Folge 7 der Gast-Kolumne.
Beate bezeichnet sich selbst als «digital open native» und das ist sie mit unbändiger Leidenschaft. Immer die neuesten Gadgets dabei und flexibel im Arbeiten. Hermann bezeichnet sich selbst als «digital naiv» und hält nur bedingt etwas von neuen Technologien. Für ihn zählen sein (in farbigen Ordnern sorgfältig dokumentiertes) Fachwissen sowie sein grosses und regelmässig gepflegtes Netzwerk. In den nächsten Kolumnen begleiten wir die beiden ein bisschen. Sie werden auf Herausforderungen treffen, die der Autor aus eigener Erfahrung kennt. Ähnlichkeiten mit dem realen Leben sind durchaus beabsichtigt – sind wir ehrlich, jede:r von uns kennt zwei solche Kollegen.
UHD-Hochglanz-Video von der Baustelle
Tag 10 nach der letzten Kolumne. Freitag, 07:58 Uhr. Beate sitzt mit einem starken Espresso am Schreibtisch, Marke Augenöffner. Der Tag hat gerade erst begonnen, und sie scrollt lieblos durch LinkedIn. Zwischen sepiagefilterten Baustellenporträts und inspirierenden CEO-Zitaten aus vergangenen Zeiten taucht plötzlich auf: Zita Zenklusen, mal wieder.
Diesmal nicht mit einem ihrer bemerkenswerten Blogbeiträgen über Beton mit Charakter oder einem kreativen Kommentar zu nachhaltigem Bauen, sondern mit einem Hochglanz-Video in UHD. Zita steht auf einer Baustelle, strahlend, im orangefarbenen Helm, modisch kombiniert mit einem Business-Blazer. In der einen Hand ein Tablet, auf dem ein drehbares 3D-Modell einer Überbauung blinkt, in der anderen ein Funkgerät, als wäre sie direkt mit der Zukunft verbunden.
„Mit unserem ganzheitlichen BIM-Ansatz setzen wir neue Standards im vernetzten, ökologischen Bauen. Wir denken nicht nur digital – wir bauen digital. Mit Herz, Hirn und Haltung.“ Die Musik im Hintergrund klingt nach Techno der 90er und einem Trompetensolo von Louis Armstrong. Die Hashtags: #BauenMitBIM #Leadership #ZukunftJetzt #DigitalSwissMade
423 Likes. 89 Kommentare. Einer davon von Peter Maurer, Kantonsrat und personifizierte Ausschreibungskompetenz:
„Genau so geht’s. Bravo, Zita! Ich freue mich schon auf die weiteren Projekte mit deiner tollen App!“ Beate schluckt.
Digitales Bauen – Die grinsende Zita Z.
Genau in dem Moment betritt Hermann das Büro, balanciert seine Kaffeetasse, Ledertasche und Akten wie ein Jongleur im Circus Knie. „Schon wieder Zita? Was hat sie diesmal gemacht? Wieder eine neue Siedlung architektonisch bewertet oder warum grinst sie so?“ Beate dreht ihm schweigend den Bildschirm hin.
„Ach du liebes bisschen“, murmelt Hermann. „Ich kenn‘ LinkedIn. Das ist doch dieses Ding, wo alle so tun, als wären sie permanent auf Preisverleihungen, sich ständig über den kleinsten Fötzel freuen, als wäre es Weihnachten.“ Er nimmt einen Schluck Kaffee. „Und ihre Lebensläufe in der dritten Person schreiben. ‚Peter Maurer ist eine visionäre Führungspersönlichkeit mit Begeisterung für kraftschlüssige Dübelsysteme.‘ So was halt.“
Daniela, die gerade vor dem Serverraum steht und sich fragt, warum das WLAN wieder bockt und nicht wirklich die Datenmengen des letzten Modells verarbeitet, ruft trocken rein: „Und dann posten sie morgens um fünf, dass sie meditiert, gejoggt und nebenbei noch ein kriselndes Bauprojekt gerettet haben. Danach schreiben sie ‚Time to reflect‘ und laden ein Selfie vom See hoch und haben mehr Likes als Posts, die Inhalt liefern.“
Beate will auch ein Video für LinkedIn
Beate klappt den Laptop zu. „Wir machen das jetzt auch. Ein Video. Von uns. Von unserer neuen digitalen Methode.“
„Was für eine Methode?“, fragt Hermann. „Na, das Ding, das wir fast implementiert haben. Die Koordinations-App.“
Benno, der Bauleiter, der gerade über den Gang schlurfte und sich über den Lärm im Flur wunderte, hebt eine Augenbraue. „Auf der Baustelle? Mit Helm? Und Kamera? Ich hatte mit dem Selfie-Stick auf dem Gerüst im elften Stock für den letzten Post schon eine Nahtoderfahrung.“
Beate winkt ab. „Kein Problem. Ich schreibe ein Drehbuch, bringe Mikrofone mit, zwei Powerbanks, eine dritte zur Sicherheit, und Daniela filmt mit dem iPad.“ Daniela, ohne aufzusehen: „Hab ich schon mal gemacht. Für den Kindergeburtstag meiner Nichte. Lief fast alles gut. Die Videos werden jedes Jahr zu Weihnachten gezeigt.“ Köbi ruft aus dem Hintergrund: „Ich mach keine Interviews und will nicht vor die Kamera, also nur wenn es sein muss. Ich habe eine Excel-Präsentation mit animierten Balken vorbereitet, falls jemand fragt. Die können wir abfilmen.“
Der Dreh beginnt…
Am Montag um 09:00 Uhr ist es so weit. Beate hat Regieanweisungen vorbereitet, alle sind leicht genervt, besonders Hermann, der im viel zu engen Firmenpolo von 2007 steckt, ein Geschenk des damaligen Geschäftsführers für seine 20 Jahre damals bei der Firma. Bald gibt es den Pullover dazu, nur noch drei Jahre… dachte er, bevor er von Daniela in seinen Gedanken gestört wurde. „Ton läuft!“ krächzt Daniela.
„Was?“ ruft Hermann. „TON LÄUFT!!!“ Beate beginnt. Souverän, laut, optimistisch: „Willkommen auf unserer digital gesteuerten Baustelle. Hier nutzen wir modernste Werkzeuge zur Echtzeit-Koordination…“ In diesem Moment tritt Benno ins Bild, bleibt an einem Stromkabel hängen, rudert, verliert das Gleichgewicht, kann sich aber gerade noch an einem Baucontainer festhalten. „%&+»*! Nicht filmen!“ – „Das ist authentisch“, sagt Daniela ruhig und zoomt näher.
Köbi kommt durchs Bild, schwitzend. „Mein Excel ist abgestürzt! Live! Ich wusste, das passiert, wenn ich formatiere.“
Hermann steht in der Ecke und hält ein Kabel hoch. „Wozu ist das hier eigentlich? Sollten wir dieses Jahr nicht mehr nur gelbe Kabel auf der Baustelle haben?“ Beate bleibt fokussiert. „Wir bringen Transparenz auf die Baustelle!“ „So transparent, dass jeder sieht, dass ich mich gerade fast auf die Schnauze gelegt hab“, murmelt Benno.
Das Video geht online…
Fünf Stunden später ist alles im Kasten. Das Material wird gesichtet, geschnitten, vertont. Daniela hat einen EDM-Track unterlegt, weil „das klingt nach Fortschritt“. Hermann sieht sich selbst im Video und sagt nur: „Ich seh‘ aus wie ein Bauleiter bei einer Teambuildingmassnahme in einer schlechten Sitcom.“ Am Mittwoch ist das Video online. Titel: „Unsere digitale Reise beginnt – gemeinsam, innovativ, offen.“ Hashtags: #DigitalMut #WirKönnenDasAuch #TransparenzIstStärke
Drei Tage später. 18 Likes. Zwei davon vermutlich aus Versehen. Ein Kommentar: „Ist das Satire?“ Beate seufzt. Daniela meint: „Der Sound war eigentlich cool. Das bisschen verwackelte, wo Beate versucht, zwischen den Gerüststangen den Limbo zu machen, war auch ganz ok, also wenn das nicht mehr Likes bringt, weiss ich auch nicht. Meine Nichte fand es lustig. Aber die ist auch erst sieben.“ Hermann klopft Beate auf die Schulter. „Immerhin. Vielleicht war’s die ehrlichste Baustellen-Doku der Schweiz. Echtzeit, Echtstress, echt ehrlich.“
Köbi ergänzt: „Vielleicht sollten wir nächstes Mal einfach unsere Arbeit filmen. Und am Ende ‚Das war Realität‘ einblenden. Wir sind alle nicht so weit, vielleicht hilft uns Ehrlichkeit weiter. Ich kenne keinen, der so weit ist. In Netzwerken wird viel erzählt. Workflows wie wir haben aber wenige.“
Digitales Bauen – Auf das Team kommt es an!
Fazit: Wer auf LinkedIn glänzen will, braucht keine Perfektion, sondern Mut zur Ehrlichkeit. Es ist nicht schlimm, wenn man nicht so weit ist, wie andere vorgaukeln. Alle kochen nur mit Wasser. Man braucht ein Team, das sich nicht zu schade ist, sich auf das Abenteuer digitale Transformation der Baustelle einzulassen. Seien wir mehr wie Beate. Sie ist stolz: sie hat Kollegen, die den Mehrwert von digitalen Methoden verstanden haben und es wollen. Ob es nun ein Limbo zwischen Gerüststangen braucht, sei dahingestellt.
Hermann bringt’s auf den Punkt: „Ich hab ja nix gegen Digitalisierung. Aber ich will nicht der Hauptdarsteller in einem Influencer-Dings sein, das mit drei Powerbanks gefüttert wird. Ich will Projekte digital unterstützen und mein Wissen weitergeben. Will schliesslich den Pullover haben in drei Jahren für meine Treue.“
#SeienwirmehrwieBeate #Einfachmachen
- ¹: «Überschnure» ist Berndeutsch und bedeutet, jemanden zu überreden, beschwatzen.
In den nächsten Kolumnen Digitales Bauen werden die beiden generationenübergreifend grundlegende Themen eruieren und sich möglicherweise zusammenraufen. Um das beste Ergebnis für sich und die Firma zu erreichen, was das grosse Feld Digitales Bauen betrifft. (Die vorangegangene Kolumne, Folge 6, finden Sie hier.)