Willkommen in der kleinen, imaginären Planungs- und Baufirma von Beate Bütikofer und Hermann Hugentobler, irgendwo in der Schweiz. Ausgezeichnet aufgezeichnet von Adrian Wildenauer, Professor für Digitales Bauen an der BFH Berner Fachhochschule. Heute Folge 6 der Gast-Kolumne.
Beate bezeichnet sich selbst als «digital open native» und das ist sie mit unbändiger Leidenschaft. Immer die neuesten Gadgets dabei und flexibel im Arbeiten. Hermann bezeichnet sich selbst als «digital naiv» und hält nur bedingt etwas von neuen Technologien. Für ihn zählen sein (in farbigen Ordnern sorgfältig dokumentiertes) Fachwissen sowie sein grosses und regelmässig gepflegtes Netzwerk. In den nächsten Kolumnen begleiten wir die beiden ein bisschen. Sie werden auf Herausforderungen treffen, die der Autor aus eigener Erfahrung kennt. Ähnlichkeiten mit dem realen Leben sind durchaus beabsichtigt – sind wir ehrlich, jede:r von uns kennt zwei solche Kollegen.
Phasenabschluss für das Projekt «Schattige Pinie»
Tag 14 nach der letzten Kolumne: Der Phasenabschluss für das Projekt «Schattige Pinie» in Oberlöliwil steht an. Die Einführung der neuen Software war grösstenteils abgeschlossen und die ersten digitalen Prozesse sind in die Arbeitsabläufe integriert worden. In den letzten Wochen hatte sich viel verändert. Hermann hat sich überraschend gut in die neuen Systeme eingefunden. Dank Bennos geduldigen Erklärungen hat sogar der alte Haudegen langsam Gefallen an den neuen Möglichkeiten gefunden. Doch Beate merkte, dass nicht jeder im Team den Übergang so problemlos meisterte.
Köbi, der Excel-Guru der Firma, schien mit den neuen Tools seine ganz eigenen Herausforderungen zu haben. Er, der bisher jede Zahl mit seiner bewährten Tabellenkalkulation kontrolliert hatte, fühlte sich von der neuen Software überrannt. Das Tempo, mit dem die Daten nun verarbeitet wurden, liess ihm kaum Zeit, seine gewohnte Sorgfalt walten zu lassen und zur Kontrolle seine Makros in Excel darüber laufen zu lassen. Ausserdem kamen jetzt riesige Datenmengen auf ihn zu, bei denen Excel schlapp machte. «Das ist zu schnell und zu viel», murmelte er oft vor sich hin, während er vergeblich versuchte, das Tempo der dreidimensionalen Veränderungen mit seiner geliebten zweidimensionalen Tabellenwelt in Einklang zu bringen.
«Baustellen-Digitalbeauftragter»
Beate hatte schon lange gemerkt, dass die Veränderung auch emotional belastend sein konnte. Sie erinnerte sich an ein Gespräch mit Benno, der seit der Einführung der digitalen Prozesse deutlich gestresster wirkte. Die Tatsache, dass es, nicht mehr nur telefonisch, sondern neu auch ständig online erreichbar war, machte ihm zu schaffen. Obwohl er die Vorteile der neuen Technologien erkannte und sogar als «Digitalbeauftragter der Baustelle» fungierte: manchmal sehnte er sich nach den früheren Zeiten zurück, als eine kurze Notiz auf Papier genügte, um eine Aufgabe zu erledigen.
Ein weiterer Punkt war die Konkurrenz durch Zita, die externe Mitbewerberin, die den digitalen Wandel scheinbar mühelos meisterte. Davon erzählten viele Reportagen und Berichte von Baustellen. Zita entsprach dem Bild einer erfolgreichen, modernen und zukunftsgewandten Unternehmerin perfekt. Sie konnte sich vor Bewerbungen und Aufträgen nicht retten. Hermann konnte es nicht lassen, immer wieder über ihre Erfolge zu grummeln. Doch Zita war mehr als nur Konkurrenz – sie war ständiger Ansporn, nicht stehenzubleiben und immer wieder neue Wege zu gehen.
Das Gegenteil von Kooperation
Nun stand der Abschluss des wichtigen Projekts «Schattige Pinie» an, ein riesiges Alterswohnzentrum mit hohen Anforderungen. Und es lief nicht so rund, wie es sollte. Die letzten Wochen waren geprägt von hektischen Korrekturen, übersehenen Details und Missverständnissen zwischen Büro und Baustelle. Die digitale Transparenz, die anfangs so vielversprechend wirkte und so oft in den bunten Hochglanzbroschüren und Schulungen beworben wurde, hatte auch ihre Schattenseiten. Transparenz bedeutete auch: plötzlich waren Fehler für alle sichtbar und die Schuldzuweisungen blieben nicht aus. Man schwärzte einander an und sah nur für sich, genau das Gegenteil von Zusammenarbeit.
Beate bemerkte die angespannte Stimmung im Team. Köbi schien nervöser denn je, da er in den Datenbergen versank und befürchtete, wichtige Zahlen übersehen zu haben. Benno, der immer bemüht war, den Überblick zu behalten, wirkte zunehmend erschöpft und kämpfte mit dem Druck, alle Fäden zusammenzuhalten. Hermann fühlte sich von der Geschwindigkeit der Veränderungen überrollt und hatte Mühe, sich in den digitalen Abläufen zurechtzufinden. Andere können es doch auch, dachte sich der eine oder die andere, zweifelte an sich selbst, wurde noch unsicherer in der Anwendung und getraute sich am Schluss gar nichts mehr. Ein Teufelskreis.
«Digitalisierung kann auch überfordern»
An diesem Morgen beschloss Beate, das Thema offen im Team anzusprechen. «Es reicht nicht, nur die Software zu beherrschen», sagte sie in der täglichen Morgenbesprechung, auch ein nun liebgewonnenes Ritual im Büro, dass sie von der Baustelle übernommen hatte. «Wir müssen auch sicherstellen, dass alles sich in ihrer neuen Rolle wohlfühlen und die nötige Unterstützung bekommen. Gerade jetzt, wo wir kurz vor dem Projektabschluss stehen, ist es wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können.»
Benno nickte zustimmend, während er seinen Kaffeebecher drehte. «Vielleicht sollten wir mehr Workshops anbieten», schlug er vor. «Nicht nur zu den technischen Aspekten, sondern auch zu Themen wie Stressmanagement und Zeitplanung. Die Digitalisierung kann viel Gutes bewirken, aber sie kann auch überfordern, wenn man nicht weiss, wie man mit dem neuen Tempo umgehen soll.»
„Manchmal braucht es einfach ein persönliches Gespräch…»
Hermann, der in dieser Besprechung ungewohnt still war, sah auf und fügte hinzu: «Und wir sollten uns mehr Zeit für Gespräche nehmen. Der persönliche Austausch geht im digitalen Alltag zu oft verloren. Mails sind keine Kommunikation, eine SharePoint-Nachricht kein Austausch. Austausch aber ist wichtig, um die Bedürfnisse und Sorgen von Euch zu verstehen. Besonders jetzt, wo die Nerven blank liegen, sollten wir daran denken.»
Enno, der Eisenleger, der ebenfalls am Projektabschluss beteiligt waren, hatte sich mit der neuen App angefreundet, doch es gab immer noch Probleme, die nicht digital gelöst werden konnten. «Es ist nicht alles so einfach, wie es aussieht», sagte er, «manchmal braucht es einfach ein persönliches Gespräch, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Auch wenn ich nun digital arbeite, brauche ich den Kontakt trotzdem.»
«Digitales Bauen bedarf auch eines starken, gemeinsamen Teams
Beate freute sich über die unerwartete Unterstützung. Es war klar, dass das Team begann, die Herausforderungen des digitalen Wandels als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. «Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir den Wandel erfolgreich gestalten – und dieses Projekt sauber abschliessen. Danach müssen wir offen diskutieren, was gut lief und was nicht. Wir schaffen das!»
Während sie die Bürotür hinter sich schloss, war sie zuversichtlich, dass die kommenden Monate nicht nur technologische, sondern auch menschliche Fortschritte bringen würden. Denn Digitales Bauen, das war ihr nun klar, bedeutete nicht nur neue Tools und Prozesse, sondern vor allem ein starkes, gemeinsames Team. Sie schmunzelte und freute sich darauf.
- ¹: «Underobsi» ist Berndeutsch und bedeutet drunter und drüber, desorientiert, durcheinander, ungeordnet, verkehrt, verwirrt.
In den nächsten Kolumnen Digitales Bauen werden die beiden generationenübergreifend grundlegende Themen eruieren und sich möglicherweise zusammenraufen. Um das beste Ergebnis für sich und die Firma zu erreichen, was das grosse Feld Digitales Bauen betrifft. (Die vorangegangene Kolumne, Folge 5, finden Sie hier.)